Marcus Wildelau | 04. Oktober 2025 | Lesedauer 12 min

Foto: Adrian Stein
F
Du schreibst in Deiner Thesis, dass Sand für Dich Material, Metapher und Medium ist.
A
Ja. Irgendwann im dritten Semester hatte ich ein Projekt über Sand gemacht und dann wusste ich: Darüber möchte ich meine Bachelorarbeit machen. Aber da war mir ja noch gar nicht bewusst, was so alles hinter dem Begriff Sand steckt.
Ursprünglich interessierte mich dieser Dualismus, der im Materiellen des Sands liegt. Einerseits zerfällt Sand, andererseits bestehen so viele feste und große Gebäude aus ihm. Nach und nach habe ich dann die geopolitische Dimension des Sands als Rohstoff erkannt.
Und dann habe ich außerdem angefangen, Metaphern zu sammeln, die ich mit Sand verbinde, zum Beispiel die Sanduhr. Was an Sand einmal verronnen ist, kommt nicht mehr zurück, denn der Sand wird weniger – auch auf diesem Planeten. Und dann habe ich mich durch die Fragen, was Sand für mich bedeutet, im Thema Sand verloren – wie in einer Wüste.
F
Wie hast du dich dem Sand genähert?
A
Also, ich bin da spielerisch rangegangen. Ich habe z.B. viel Bausand gekauft. Da habe ich zuerst mal gesehen, wie viel teurer Sand geworden ist, wie der Sandpreis sich geändert hat in den letzten Jahren. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, dass Bausand immer weniger wird, weil ich davon ausgegangen bin, dass massenhaft Sand vorhanden ist. Und ich glaube, so geht es vielen Menschen. Und schließlich musste ich erkennen, dass Sand eine endliche Ressource ist.

F
Sand kann man ja nicht künstlich herstellen. Wo kriegt man also den Bausand her?
A
Es gibt Sandabbau-Stätten. Sehr beliebt ist, Flusssand dafür zu nutzen, also in Flüssen Sand abzubauen. Das ist aber in vielen Ländern, z.B. auch in Deutschland, verboten.
Und da sind wir dann bei einem Problem, nämlich, dass wir den Sandabbau einfach in andere Regionen der Welt verschoben haben, wo das rechtlich geht, auch wenn das regional sehr fatale Folgen haben kann.
F
Was passiert, wenn man im Fluss den Sand vom Grund wegnimmt?
A
Abgesehen von den Gefahren für die Fauna in den Flüssen, ändert sich durch den Abbau des Sandes der Flusslauf und er kann außerdem tiefer werden. Es wird dadurch die gesamte Landschaft im umliegenden Bereich verändert, was gravierende Folgen für ausbalancierte Ökosysteme und angrenzende Naturlandschaften haben kann.
F
In deiner Thesis beschreibst du das Problem des illegalen Sandabbaus in vielen Teilen der Welt. Hast du das während deiner Recherche entdeckt oder wusstest du davon schon vorher?
A
Nein, das wusste ich vorher nicht. Wenn ich mir z.B. die Bilder vom illegalen Sandabbau in Marokko ansehe, dann ist das krass. In Marokko boomt der Tourismus und das Land wirbt mit seinen vielen, schönen, naturbelassenen Atlantikstränden. Gleichzeitig wird aber viel Sand an Naturstränden abgebaggert, um damit Hotels am Atlantik zu bauen. Das ist absurd. Der Tourismus geht deshalb in einigen Regionen bereits zurück, weil da, wo vorher Sand war, einfach nur noch schwarzes Geröll ist, das einer Mondlandschaft gleicht.
F
Ich habe auch in deiner Arbeit gesehen, dass du dich in Deiner Thesis hinsichtlich des Bauens besonders auf China und Spanien beziehst. Hast Du diese Länder bereist und vor Ort Feldforschungen betrieben?
A
Ich war in beiden Ländern. In Spanien stehen nach einem Bauboom Anfang der 2000er Jahre viele Hotels als nicht fertiggestellte Ruinen leer. Das ist eine riesige Sandverschwendung. Das habe ich dokumentiert und mir so persönlich ein Bild vor Ort machen können. Aber im Vergleich zu China ist Spanien viel regulierter. In China ist der Verbrauch von Ressourcen um ein Vielfaches höher und wesentlich extremer. Und von da habe ich diesen gigantischen Verbrauch von Sand als starken Eindruck mitgenommen. Das hat sich dann auch auf das Konzept meiner Abschlussarbeit ausgewirkt. Ich habe z.B. ein 3D Modell einer künstlichen Insel generiert, wobei mir die Fotos, die ich vor Ort in China aufgenommen hatte, sehr geholfen haben. Das war an sich eine coole Aktion, wenn es nicht auch gleichzeitig so unglaublich traurig wäre. Es ist bizarr und eigentlich eine Realsatire, denn die Vorbilder für meine Arbeit entstammen ja der Realität.

F
Du beziehst dich jetzt auf die künstliche Inselgruppe Ocean Flower in der Provinz Hainan.
A
Ja, das ist die sogenannte Meerblumeninsel. China kann wahnsinnig poetisch sein auf der einen Seite und auf der anderen Seite unfassbar eklig, funktional und herzlos.
Die Ocean Flower-Insel stellt aus der Luftperspektive eine Blume dar. Die mit dem Bau einhergegangenen illegalen Landgewinnungskonzepte und zerstörerischen Baumaßnahmen fügten der Umwelt, etwa einem Korallenriff, katastrophale Schäden zu.
F
Konntest du eigentlich vor Ort in China deine Recherchen und deine Forschung unbehelligt betreiben?
A
Auf der Insel selbst waren kaum andere Menschen, als wir da waren. Da waren keine Restriktionen zu spüren, weil es vom Konzept her ein touristischer Ort sein soll. Es soll ein Ort sein, wo Menschen Urlaub machen, sich entspannen können. Tatsächlich ist das eine künstlich aufgeschüttete Insel bestehend aus Sand, den man der Natur an anderer Stelle entrissen hat und damit große ökologische Schäden, also irreparable Spuren hinterlassen haben.
Auf der Meerblumeninsel gab es sogar Supermärkte und auch einen klassischen Marktplatz. Es gab auch eine Apotheke, ich kann mich daran erinnern, dass eine Freundin von mir sich da Tigerbalm gekauft hat. Es gab das quasi alles dort, aber so gut wie niemand war da und es wirkte, obwohl die Eröffnung der Insel erst 2021 stattfand, alles bereits heruntergekommen. Das ist schon beängstigend. Z.B. waren die Brücken, die das Festland mit der Insel verbindet, teilweise verrostet und erodiert. Es war einfach ein absurder Anblick: Wir standen in China am Meer und schauten auf eine künstliche Insel, auf der ein Freizeitpark vor künstlichen Bergen mit von künstlichem Schnee bedeckten Gipfeln errichtet wurde.
F
Da ist dann auch wieder dieser philosophische, metaphorische Aspekt in Deiner Arbeit: Wenn man von oben auf diese Oceanflower-Inselgruppe guckt, blickt man eigentlich auf eine große Blüte aus Beton, aus Sand.
A
Ja genau. Und diese Blüte zerfällt auch wieder. Ich glaube, es gibt an vielen Orten der Welt Dinge, die gar nicht gebraucht werden. Wenn man sich etwa den Burj Khalifa anschaut, dann ist das Gebäude möglicherweise einfach nur ein Statussymbol. Ich glaube auch, der verschwenderische Umgang mit dem Sand im Bauwesen ist auch ein Beispiel dafür, dass dies eigentlich wider besseren Wissens geschieht, denn der zur Verfügung stehende Sand wird ja immer knapper. Und trotzdem werden solche fragwürdigen Gebäude errichtet.
Ich beziehe mich in meiner Abschlussarbeit mit einem Slowmotion-Video von einem in sich zusammenfallenden Bauwerk auf den Zerfall von Beton. Man denkt vielleicht zunächst, Beton ist etwas für die Ewigkeit, aber das stimmt nicht. Beton zerfällt und zwar vor unseren Augen. Das sieht man auch sehr gut an Brücken, die aus Beton hergestellt worden sind. Oft halten Betonbauten nur 50 bis 70 Jahre. Danach weisen die Strukturen oft massive Schäden auf und müssen aufwändig gepflegt und restauriert werden. Und ich glaube ferner, dass es vielen Menschen gar nicht bewusst ist, dass wir uns entschieden haben, unsere Welt auf Beton aufzubauen. Also diese ganze Welt, die wir uns selber gebaut haben, zerfällt, während wir sie anblicken. Und das nehmen wir nicht wahr, weil es so langsam passiert.
F
Da gehen Sand und Zeit zusammen in Deiner Arbeit.
A
Ja, auf jeden Fall, vor allem auch, wenn man darüber nachdenkt, wie lange Sand braucht, um zu entstehen.
F
Wie machst du in deiner Arbeit die Beziehung zwischen Zeit und Sand deutlich?
A
Sand ist nicht so fest, wie wir vielleicht denken. Zunächst einmal liegt er ja locker auf dem Boden verteilt, so, wie er in natürlicher Weise vorkommt. Aber im Beton als Substanz eines Bauwerkes, scheint es fest und stabil. Nachdem das Gebäude in meinem Video in sich zusammengestürzt ist, sieht man nur noch Schutt und Asche. Und ich glaube, darum geht es bei Sand für mich viel mehr. Wenn wir so weiterbauen, dann werden wir irgendwann nur noch Schutt und Asche vor uns haben. Es geht mir in meiner Arbeit nicht darum, die Stabilität zu zeigen, sondern eher diese Instabilität von Sand zu herauszuarbeiten.
Sand scheint banal zu sein, aber das Gegenteil ist der Fall.

F
In welchen Produkten unserer Industriegesellschaft steckt eigentlich Sand?
A
Fast überall. Zum Beispiel in allen elektronischen Geräten. Vor mir auf dem Tisch liegt mein Handy, daneben die Maus, meine Tastatur, meine Webcam, mein Laptop, Alexa, mein Fernseher. Ich bin in meiner Wohnung, die aus Beton ist, in den Mauern sind Fenster aus Glas. Glas ist praktisch durchsichtiger, geschmolzener Quarzsand, quasi Sand, der in seiner Bewegung angehalten wurde.
Reinigungsmittel haben auch manchmal Sand in sich, aber auch bestimmte Zahnpasta-Arten haben Sand in sich. Man realisiert gar nicht, wo sich überall Sand befindet. Wir sind dauerhaft von Sand umgeben. Ich glaube, seit heute Morgen bin ich bestimmt schon 25-mal mit Sand in Berührung gekommen, ohne dass es mir bewusst wurde.

F
An einer Stelle in Deiner Thesis schreibst Du, dass du in deiner Arbeit ein planetarisches Netzwerk von Materialströmen, eine Datenökologie des Sandes sichtbar machen willst. Da wurde mir klar, dass du mit deiner Arbeit einen Beitrag zur ökosozialen Transformation leistest, weil du uns für die Komplexität der Beziehungen und Abhängigkeiten, die die Menschen mit der Ressource Sand eingehen, sensibilisierst.
Fühlst Du Dich als Künstlerin auch ein bisschen als Aktivistin?
A
Ja, schon. Also ich bin zu einem kleinen Sand-Nerd geworden und muss jedem Menschen, den ich kennenlerne, von Sand erzählen. (Lacht)
Meine Freunde mussten über ein halbes Jahr hinweg an jedem Wochenende etwas über Sand anhören. Ich bin jetzt natürlich viel reflektierter im Umgang mit Sand, sehe, wie viel wir davon allein in technischen Geräten verbrauchen und wie sehr der Abbau von Sand Einflüsse auf die Umwelt nimmt. Und ja, es ist immer auch ein wenig Aktivismus, wenn man Menschen diese Informationen vermittelt und auch ein Stück weit aufklärend. Mein Wissen über diese Ressource teile ich in meiner Abschlussarbeit und versuche, mein Anliegen sichtbar zu machen.
Sand ist viel zu unsichtbar in unserer Gesellschaft.
Aber gleichzeitig sehe ich mich auch als Künstlerin. Kunst verbindet man ja immer schnell mit Schönheit, mit etwas Schönem, aber diese Aufklärung, die mir am Herzen liegt, ist weder schön noch hässlich, sie ist aufrüttelnd und im besten Fall ist sie ein Spiegel. Wieder eine Metapher, die sich durch die Stofflichkeit des Sands begründet – auch der Spiegel basiert in seiner Materialität und der Verwendung von Glas auf Sand. Wir schauen tagtäglich in den Spiegel und am Sand vorbei, obwohl er sich direkt vor unseren Augen befindet und sehen nur uns selbst. Ohne Sand wüssten wir aber gar nicht, wie wir aussehen.
Sand ist ein unglaublicher Formwandler. Der taucht eigentlich in unserer Zivilisation in allen möglichen Gestalten auf und nur selten als purer Sand. Egal, ob er als purer Sand, als Spiegel oder als Zahnpaste auftaucht: Er wird nicht von uns bemerkt. Wenigen Menschen ist bewusst, dass diese Ressource endlich ist. Sand ist massiv wichtig für unsere gesamte Infrastruktur und er bestimmt als unsichtbare Ressource unsere komplette Moderne.
F
In Deiner Arbeit geht es auch um Bewegung und Sand. Was reizt dich daran?
A
Generell haben Sand und Bewegung für mich einen großen ästhetischen Reiz. Sandstürme haben für mich etwas Wunderschönes. Man riecht dann den Sand, der hat ja diesen Eigengeruch. Ich weiß nicht, ob du schon mal so eine Art Sandsturm, eine Kalima, aus nächster Nähe gesehen hast? Diese vom Sahara-Sand geprägten Wetterphänomene hüllen die Kanaren in einen dichten und gelblichen Schleier. Das ist natürlich sehr ungesund für die Atemwege, aber es entsteht auch eine faszinierende Stimmung mit Momenten, in denen ich den Sand intensiv wahrnehme und erkenne, wie er sich in meiner direkten Umwelt bewegt.
Ebenso faszinierend für mich sind Wanderdünen, bei der die gesamte Masse innerhalb weniger Monate von einem Ort zum nächsten bewegt wird, einzig angetrieben von Wind. Ich glaube, dass ziemlich viel Geduld und auch Fantasie dazugehören, um diese Wege nachzuvollziehen, die der Sand macht, die Bewegungen nachzuvollziehen, die sehr langsam sein können aber eben auch sehr, sehr schnell. In dieser Dynamik liegt für mich ein unglaublicher Reiz.
Sand findet viele Möglichkeiten zu erstarren, zu ruhen oder sich zu bewegen. Paradoxerweise, ist Sand einerseits sehr fest und andererseits sehr flüchtig, geradezu flüssig.

Foto: Adrian Stein
F
Was wäre der moderne Mensch ohne Sand?
A
Menschen bringen den Sand in unnatürliche, künstliche Formen und generieren daraus für ihre Gesellschaften infrastrukturelle Mehrwerte. Nehmen wir doch einfach mal das Beispiel der Brille. Unser Wissenstand wäre heute sicherlich ein anderer, hätte man nie Brillen erfunden, deren Gläser ja aus Sand, Siliziumdioxid bestehen. Durch Brillen ist es Menschen möglich geworden, 15 bis 20 Jahre länger zu arbeiten, überhaupt arbeitsfähiger zu sein und sich viel länger und besser zu bilden und das erworbene Wissen dann auch weitergeben zu können. Der moderne Mensch ist so direkt mit dem Sand verbunden.
Ich beziehe mich in meiner Arbeit auch stark auf die digitale Infrastruktur. Und ich glaube, von der digitalen Infrastruktur sind wir heute noch abhängiger als von der Betoninfrastruktur. Es gibt heutzutage so gut wie keinen Job, den man ohne Digitaltechnik ausüben kann. Fast unsere gesamte Kommunikation läuft über Digitaltechnik. Wir haben uns dazu entschieden, Sand als Hauptmaterial für die Infrastruktur unserer modernen Zivilisation zu wählen.
Credits
Interview mit: Maira Wissing
Text: Marcus Wildelau
Fotos: Adrian Stein und Hugo Hilpmann
Marcus Wildelau
04. Oktober 2025
Lesedauer 12 min

Foto: Adrian Stein
F
Du schreibst in Deiner Thesis, dass Sand für Dich Material, Metapher und Medium ist.
A
Ja. Irgendwann im dritten Semester hatte ich ein Projekt über Sand gemacht und dann wusste ich: Darüber möchte ich meine Bachelorarbeit machen. Aber da war mir ja noch gar nicht bewusst, was so alles hinter dem Begriff Sand steckt.
Ursprünglich interessierte mich dieser Dualismus, der im Materiellen des Sands liegt. Einerseits zerfällt Sand, andererseits bestehen so viele feste und große Gebäude aus ihm. Nach und nach habe ich dann die geopolitische Dimension des Sands als Rohstoff erkannt.
Und dann habe ich außerdem angefangen, Metaphern zu sammeln, die ich mit Sand verbinde, zum Beispiel die Sanduhr. Was an Sand einmal verronnen ist, kommt nicht mehr zurück, denn der Sand wird weniger – auch auf diesem Planeten. Und dann habe ich mich durch die Fragen, was Sand für mich bedeutet, im Thema Sand verloren – wie in einer Wüste.
F
Wie hast du dich dem Sand genähert?
A
Also, ich bin da spielerisch rangegangen. Ich habe z.B. viel Bausand gekauft. Da habe ich zuerst mal gesehen, wie viel teurer Sand geworden ist, wie der Sandpreis sich geändert hat in den letzten Jahren. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, dass Bausand immer weniger wird, weil ich davon ausgegangen bin, dass massenhaft Sand vorhanden ist. Und ich glaube, so geht es vielen Menschen. Und schließlich musste ich erkennen, dass Sand eine endliche Ressource ist.

F
Sand kann man ja nicht künstlich herstellen. Wo kriegt man also den Bausand her?
A
Es gibt Sandabbau-Stätten. Sehr beliebt ist, Flusssand dafür zu nutzen, also in Flüssen Sand abzubauen. Das ist aber in vielen Ländern, z.B. auch in Deutschland, verboten.
Und da sind wir dann bei einem Problem, nämlich, dass wir den Sandabbau einfach in andere Regionen der Welt verschoben haben, wo das rechtlich geht, auch wenn das regional sehr fatale Folgen haben kann.
F
Was passiert, wenn man im Fluss den Sand vom Grund wegnimmt?
A
Abgesehen von den Gefahren für die Fauna in den Flüssen, ändert sich durch den Abbau des Sandes der Flusslauf und er kann außerdem tiefer werden. Es wird dadurch die gesamte Landschaft im umliegenden Bereich verändert, was gravierende Folgen für ausbalancierte Ökosysteme und angrenzende Naturlandschaften haben kann.
F
In deiner Thesis beschreibst du das Problem des illegalen Sandabbaus in vielen Teilen der Welt. Hast du das während deiner Recherche entdeckt oder wusstest du davon schon vorher?
A
Nein, das wusste ich vorher nicht. Wenn ich mir z.B. die Bilder vom illegalen Sandabbau in Marokko ansehe, dann ist das krass. In Marokko boomt der Tourismus und das Land wirbt mit seinen vielen, schönen, naturbelassenen Atlantikstränden. Gleichzeitig wird aber viel Sand an Naturstränden abgebaggert, um damit Hotels am Atlantik zu bauen. Das ist absurd. Der Tourismus geht deshalb in einigen Regionen bereits zurück, weil da, wo vorher Sand war, einfach nur noch schwarzes Geröll ist, das einer Mondlandschaft gleicht.
F
Ich habe auch in deiner Arbeit gesehen, dass du dich in Deiner Thesis hinsichtlich des Bauens besonders auf China und Spanien beziehst. Hast Du diese Länder bereist und vor Ort Feldforschungen betrieben?
A
Ich war in beiden Ländern. In Spanien stehen nach einem Bauboom Anfang der 2000er Jahre viele Hotels als nicht fertiggestellte Ruinen leer. Das ist eine riesige Sandverschwendung. Das habe ich dokumentiert und mir so persönlich ein Bild vor Ort machen können. Aber im Vergleich zu China ist Spanien viel regulierter. In China ist der Verbrauch von Ressourcen um ein Vielfaches höher und wesentlich extremer. Und von da habe ich diesen gigantischen Verbrauch von Sand als starken Eindruck mitgenommen. Das hat sich dann auch auf das Konzept meiner Abschlussarbeit ausgewirkt. Ich habe z.B. ein 3D Modell einer künstlichen Insel generiert, wobei mir die Fotos, die ich vor Ort in China aufgenommen hatte, sehr geholfen haben. Das war an sich eine coole Aktion, wenn es nicht auch gleichzeitig so unglaublich traurig wäre. Es ist bizarr und eigentlich eine Realsatire, denn die Vorbilder für meine Arbeit entstammen ja der Realität.

F
Du beziehst dich jetzt auf die künstliche Inselgruppe Ocean Flower in der Provinz Hainan.
A
Ja, das ist die sogenannte Meerblumeninsel. China kann wahnsinnig poetisch sein auf der einen Seite und auf der anderen Seite unfassbar eklig, funktional und herzlos.
Die Ocean Flower-Insel stellt aus der Luftperspektive eine Blume dar. Die mit dem Bau einhergegangenen illegalen Landgewinnungskonzepte und zerstörerischen Baumaßnahmen fügten der Umwelt, etwa einem Korallenriff, katastrophale Schäden zu.
F
Konntest du eigentlich vor Ort in China deine Recherchen und deine Forschung unbehelligt betreiben?
A
Auf der Insel selbst waren kaum andere Menschen, als wir da waren. Da waren keine Restriktionen zu spüren, weil es vom Konzept her ein touristischer Ort sein soll. Es soll ein Ort sein, wo Menschen Urlaub machen, sich entspannen können. Tatsächlich ist das eine künstlich aufgeschüttete Insel bestehend aus Sand, den man der Natur an anderer Stelle entrissen hat und damit große ökologische Schäden, also irreparable Spuren hinterlassen haben.
Auf der Meerblumeninsel gab es sogar Supermärkte und auch einen klassischen Marktplatz. Es gab auch eine Apotheke, ich kann mich daran erinnern, dass eine Freundin von mir sich da Tigerbalm gekauft hat. Es gab das quasi alles dort, aber so gut wie niemand war da und es wirkte, obwohl die Eröffnung der Insel erst 2021 stattfand, alles bereits heruntergekommen. Das ist schon beängstigend. Z.B. waren die Brücken, die das Festland mit der Insel verbindet, teilweise verrostet und erodiert. Es war einfach ein absurder Anblick: Wir standen in China am Meer und schauten auf eine künstliche Insel, auf der ein Freizeitpark vor künstlichen Bergen mit von künstlichem Schnee bedeckten Gipfeln errichtet wurde.
F
Da ist dann auch wieder dieser philosophische, metaphorische Aspekt in Deiner Arbeit: Wenn man von oben auf diese Oceanflower-Inselgruppe guckt, blickt man eigentlich auf eine große Blüte aus Beton, aus Sand.
A
Ja genau. Und diese Blüte zerfällt auch wieder. Ich glaube, es gibt an vielen Orten der Welt Dinge, die gar nicht gebraucht werden. Wenn man sich etwa den Burj Khalifa anschaut, dann ist das Gebäude möglicherweise einfach nur ein Statussymbol. Ich glaube auch, der verschwenderische Umgang mit dem Sand im Bauwesen ist auch ein Beispiel dafür, dass dies eigentlich wider besseren Wissens geschieht, denn der zur Verfügung stehende Sand wird ja immer knapper. Und trotzdem werden solche fragwürdigen Gebäude errichtet.
Ich beziehe mich in meiner Abschlussarbeit mit einem Slowmotion-Video von einem in sich zusammenfallenden Bauwerk auf den Zerfall von Beton. Man denkt vielleicht zunächst, Beton ist etwas für die Ewigkeit, aber das stimmt nicht. Beton zerfällt und zwar vor unseren Augen. Das sieht man auch sehr gut an Brücken, die aus Beton hergestellt worden sind. Oft halten Betonbauten nur 50 bis 70 Jahre. Danach weisen die Strukturen oft massive Schäden auf und müssen aufwändig gepflegt und restauriert werden. Und ich glaube ferner, dass es vielen Menschen gar nicht bewusst ist, dass wir uns entschieden haben, unsere Welt auf Beton aufzubauen. Also diese ganze Welt, die wir uns selber gebaut haben, zerfällt, während wir sie anblicken. Und das nehmen wir nicht wahr, weil es so langsam passiert.
F
Da gehen Sand und Zeit zusammen in Deiner Arbeit.
A
Ja, auf jeden Fall, vor allem auch, wenn man darüber nachdenkt, wie lange Sand braucht, um zu entstehen.
F
Wie machst du in deiner Arbeit die Beziehung zwischen Zeit und Sand deutlich?
A
Sand ist nicht so fest, wie wir vielleicht denken. Zunächst einmal liegt er ja locker auf dem Boden verteilt, so, wie er in natürlicher Weise vorkommt. Aber im Beton als Substanz eines Bauwerkes, scheint es fest und stabil. Nachdem das Gebäude in meinem Video in sich zusammengestürzt ist, sieht man nur noch Schutt und Asche. Und ich glaube, darum geht es bei Sand für mich viel mehr. Wenn wir so weiterbauen, dann werden wir irgendwann nur noch Schutt und Asche vor uns haben. Es geht mir in meiner Arbeit nicht darum, die Stabilität zu zeigen, sondern eher diese Instabilität von Sand zu herauszuarbeiten.
Sand scheint banal zu sein, aber das Gegenteil ist der Fall.

F
In welchen Produkten unserer Industriegesellschaft steckt eigentlich Sand?
A
Fast überall. Zum Beispiel in allen elektronischen Geräten. Vor mir auf dem Tisch liegt mein Handy, daneben die Maus, meine Tastatur, meine Webcam, mein Laptop, Alexa, mein Fernseher. Ich bin in meiner Wohnung, die aus Beton ist, in den Mauern sind Fenster aus Glas. Glas ist praktisch durchsichtiger, geschmolzener Quarzsand, quasi Sand, der in seiner Bewegung angehalten wurde.
Reinigungsmittel haben auch manchmal Sand in sich, aber auch bestimmte Zahnpasta-Arten haben Sand in sich. Man realisiert gar nicht, wo sich überall Sand befindet. Wir sind dauerhaft von Sand umgeben. Ich glaube, seit heute Morgen bin ich bestimmt schon 25-mal mit Sand in Berührung gekommen, ohne dass es mir bewusst wurde.

F
An einer Stelle in Deiner Thesis schreibst Du, dass du in deiner Arbeit ein planetarisches Netzwerk von Materialströmen, eine Datenökologie des Sandes sichtbar machen willst. Da wurde mir klar, dass du mit deiner Arbeit einen Beitrag zur ökosozialen Transformation leistest, weil du uns für die Komplexität der Beziehungen und Abhängigkeiten, die die Menschen mit der Ressource Sand eingehen, sensibilisierst.
Fühlst Du Dich als Künstlerin auch ein bisschen als Aktivistin?
A
Ja, schon. Also ich bin zu einem kleinen Sand-Nerd geworden und muss jedem Menschen, den ich kennenlerne, von Sand erzählen. (Lacht)
Meine Freunde mussten über ein halbes Jahr hinweg an jedem Wochenende etwas über Sand anhören. Ich bin jetzt natürlich viel reflektierter im Umgang mit Sand, sehe, wie viel wir davon allein in technischen Geräten verbrauchen und wie sehr der Abbau von Sand Einflüsse auf die Umwelt nimmt. Und ja, es ist immer auch ein wenig Aktivismus, wenn man Menschen diese Informationen vermittelt und auch ein Stück weit aufklärend. Mein Wissen über diese Ressource teile ich in meiner Abschlussarbeit und versuche, mein Anliegen sichtbar zu machen.
Sand ist viel zu unsichtbar in unserer Gesellschaft.
Aber gleichzeitig sehe ich mich auch als Künstlerin. Kunst verbindet man ja immer schnell mit Schönheit, mit etwas Schönem, aber diese Aufklärung, die mir am Herzen liegt, ist weder schön noch hässlich, sie ist aufrüttelnd und im besten Fall ist sie ein Spiegel. Wieder eine Metapher, die sich durch die Stofflichkeit des Sands begründet – auch der Spiegel basiert in seiner Materialität und der Verwendung von Glas auf Sand. Wir schauen tagtäglich in den Spiegel und am Sand vorbei, obwohl er sich direkt vor unseren Augen befindet und sehen nur uns selbst. Ohne Sand wüssten wir aber gar nicht, wie wir aussehen.
Sand ist ein unglaublicher Formwandler. Der taucht eigentlich in unserer Zivilisation in allen möglichen Gestalten auf und nur selten als purer Sand. Egal, ob er als purer Sand, als Spiegel oder als Zahnpaste auftaucht: Er wird nicht von uns bemerkt. Wenigen Menschen ist bewusst, dass diese Ressource endlich ist. Sand ist massiv wichtig für unsere gesamte Infrastruktur und er bestimmt als unsichtbare Ressource unsere komplette Moderne.
F
In Deiner Arbeit geht es auch um Bewegung und Sand. Was reizt dich daran?
A
Generell haben Sand und Bewegung für mich einen großen ästhetischen Reiz. Sandstürme haben für mich etwas Wunderschönes. Man riecht dann den Sand, der hat ja diesen Eigengeruch. Ich weiß nicht, ob du schon mal so eine Art Sandsturm, eine Kalima, aus nächster Nähe gesehen hast? Diese vom Sahara-Sand geprägten Wetterphänomene hüllen die Kanaren in einen dichten und gelblichen Schleier. Das ist natürlich sehr ungesund für die Atemwege, aber es entsteht auch eine faszinierende Stimmung mit Momenten, in denen ich den Sand intensiv wahrnehme und erkenne, wie er sich in meiner direkten Umwelt bewegt.
Ebenso faszinierend für mich sind Wanderdünen, bei der die gesamte Masse innerhalb weniger Monate von einem Ort zum nächsten bewegt wird, einzig angetrieben von Wind. Ich glaube, dass ziemlich viel Geduld und auch Fantasie dazugehören, um diese Wege nachzuvollziehen, die der Sand macht, die Bewegungen nachzuvollziehen, die sehr langsam sein können aber eben auch sehr, sehr schnell. In dieser Dynamik liegt für mich ein unglaublicher Reiz.
Sand findet viele Möglichkeiten zu erstarren, zu ruhen oder sich zu bewegen. Paradoxerweise, ist Sand einerseits sehr fest und andererseits sehr flüchtig, geradezu flüssig.

Foto: Adrian Stein
F
Was wäre der moderne Mensch ohne Sand?
A
Menschen bringen den Sand in unnatürliche, künstliche Formen und generieren daraus für ihre Gesellschaften infrastrukturelle Mehrwerte. Nehmen wir doch einfach mal das Beispiel der Brille. Unser Wissenstand wäre heute sicherlich ein anderer, hätte man nie Brillen erfunden, deren Gläser ja aus Sand, Siliziumdioxid bestehen. Durch Brillen ist es Menschen möglich geworden, 15 bis 20 Jahre länger zu arbeiten, überhaupt arbeitsfähiger zu sein und sich viel länger und besser zu bilden und das erworbene Wissen dann auch weitergeben zu können. Der moderne Mensch ist so direkt mit dem Sand verbunden.
Ich beziehe mich in meiner Arbeit auch stark auf die digitale Infrastruktur. Und ich glaube, von der digitalen Infrastruktur sind wir heute noch abhängiger als von der Betoninfrastruktur. Es gibt heutzutage so gut wie keinen Job, den man ohne Digitaltechnik ausüben kann. Fast unsere gesamte Kommunikation läuft über Digitaltechnik. Wir haben uns dazu entschieden, Sand als Hauptmaterial für die Infrastruktur unserer modernen Zivilisation zu wählen.
Credits
Interview mit: Maira Wissing
Text: Marcus Wildelau
Fotos: Adrian Stein und Hugo Hilpmann