Isabel Niemann & Christian Kieselbach | 23. März 2025 | Lesedauer 10 min

Das Material Denim und die daraus gefertigten Kleidungsstücke zählen zu der weltweit am meisten getragenen Bekleidung und lassen sich aus unseren diversen Garderoben nicht mehr wegdenken. Entsprechend ist der Wunsch nach neuen Jeans riesig – auch wenn uns Träger*innen zumeist nicht bewusst ist, dass der herkömmliche Herstellungsprozess von Jeans eine hohe Umweltbelastung darstellt.
Im Hinblick darauf setzten sich die Studierenden nicht nur mit Kleidungsstücken aus Denim, deren Materialeigenschaften und Geschichte auseinander, sondern entwickelten darüber hinaus Ansätze für einem nachhaltigeren Umgang mit Denim im Modedesign.
Um den Hype um die Jeans nachzuvollziehen ist es wichtig, ihre historische Entwicklung zu kennen, denn die Jeans selbst hat ihre Funktion in der Dauerhaftigkeit und wurde ursprünglich als strapazierfähige Arbeitsbekleidung für Goldgräber im Zeitalter des Goldrauschs entwickelt, bevor sie selbst zum Objekt der Mode und Mythos der modernen Kultur geworden ist.
Jugendliche rebellierten durch das Tragen von Jeans gegen den traditionellen Kleiderzwang ihrer Eltern, und Frauen verhalf sie zu einer neuen körperlichen Freiheit – die Jeans hat sich als faszinierender Modeklassiker etabliert, der auf viele Arten getragen werden kann, ohne dabei seine Funktion als robustes Kleidungsstück zu verlieren.
Schnell wurde den Studierenden in ihrer Recherche bewusst, dass das zeitlose Material Denim nicht nur enormes Potenzial für neue Entwürfe bietet, sondern vielmehr auch die Möglichkeit, langlebige und robuste Kleidungsstücke zu entwickeln, die sich gegen die schnelllebigen Trends der Fast Fashion positionieren. (Denim ist ein strapazierfähiger Stoff in Köperbindung mit typischen indigoblauen Kett- und weißen Schussfäden)
Dabei gibt es nur ein Problem:
die Herstellung von Denim ist sehr umweltbelastend; die anschließenden Waschungen und Stoffbearbeitungen von Jeanskleidungsstücken aus herkömmlicher, industrieller Herstellung sind im Hinblick auf soziale und ökologische Aspekte äußerst heikel.









Die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Modeindustrie sind gravierend, sie sollten also bereits im Designprozess mitbedacht werden. Daher ist es Prof. Philipp Rupp ein Anliegen, nachhaltige Themen in der Lehre immer wieder zur Sprache zu bringen. Um die Modestudierenden zu ermächtigen, im Studium und später im Beruf nachhaltige Entscheidungen treffen zu können – oder zumindest die richtigen Fragen zu stellen.
Insbesondere der ökologische Fußabdruck einer Jeans ist enorm; bereits in der Produktion von Denim wird viel Wasser für den konventionellen Baumwollanbau benötigt, und bei den Färbungen mit Indigo oder synthetischem Indigo kommen viele umweltbelastende Chemikalien zum Einsatz.
Die Antwort ist simpel: mit dem, was bereits produziert worden ist und nun als Deadstock oder ausgemusterte Kleidungsstücke im Altkleidercontainer landet. Insbesondere Kleidungsstücke aus dem Segment der Fast- oder Ultra Fast Fashion sind schon längst nicht mehr darauf ausgelegt, langfristig tragbar zu sein und werden oftmals nach nur wenigen Tragen entsorgt. Wir kennen die Fotografien von Bergen aus Altkleidern, die in Wüsten gelagert oder vernichtet werden und sehen überfüllte Altkleidercontainer in den Städten. Den Konsument*innen ist dabei nicht bewusst, dass das Problem bereits viel früher beginnt, denn dieser „Abfall“ (auch Pre-Consumer-Waste genannt) ist für sie nicht sicht- oder greifbar.
[1} Im Seminar Let’s Denim entdeckten die Kursteilnehmenden das Potenzial von Deadstock der Firma R.Brand Group für modische Neuinterpretationen und setzten zwei Outfits um.
Aufgrund der immer schneller werdenden Mode- und Produktionszyklen werden mit viel Vorlaufzeit Textilien produziert, die aufgrund von Design- und Managemententscheidungen verworfen und infolgedessen auf unbestimmte Zeit eingelagert werden. Sie sind irgendwann nicht mehr nutzbar und die Einlagerung benötigt zudem viel Platz, Energie und Arbeitskraft. Aber nicht nur Stoffrollen werden eingelagert – auch große Mengen unverkäuflicher Kleidungsstücke aus Überproduktion, Prototypen, Stoffreste und Muster stellen eine Herausforderung dar. Gleichzeitig bilden sie jedoch ein wertvolles Potenzial an ungenutzten Ressourcen für Modedesigner*innen.
Als Prof. Philipp Rupp im Mai 2024 zu Besuch bei der R.Brand Group GmbH war, wurde ihm die Konkursmasse der AHLERS AG gezeigt: Rollen mit Deadstockstoffen- und Kleidungsstücken, ungenutzte Zutaten und weitere Materialien aus dem Denimsegment. Schnell entstand die Idee, mit dem ortsansässigen Unternehmen zu kooperieren und mit dem Deadstock ein Gestaltungsprojekt zu konzipieren, um die ungenutzten Ressourcen wieder in den textilen Kreislauf zu bringen.
Ungenutzte Meterware kann dabei zumeist unproblematisch ver- und bearbeitet werden. Bereits gefertigte Kleidungsstücke bringen jedoch ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich: die Stoffflächen sind begrenzt und bereits in Details verarbeitet.
Ihr Design und Details sowie ausgemusterte, zerschlissene oder beschädigte Kleidung können auch Inspiration im Designprozess neuer Outfits sein. Viele bekannte Modedesigner*innen arbeiten mit genau diesem Prinzip; sie collagieren dreidimensional am Körper und entwickeln auf Basis dieser Skizzen Ideen für neue, innovative Designs. Für Philipp Rupp war schnell klar, dass sich das Upcycling des Denimdeadstocks gut mit der Collagetechnik verbinden lässt, zumal die Menge es ermöglicht, viele Ideen skizzenhaft auszuprobieren, ohne dass zuvor Schnitte entwickelt und Probeteile nachgenäht werden müssen.







Zu Beginn des Semesters ähnelt der Seminarraum einem Vintagestore, in dem neben einer Vielzahl aussortierter Kleidungsstücke auch eine große Menge Jeans Deadstock und Second Hand Kleidungsstücke aus dem Materialpool des Textilhafens der Berliner Stadtmission hängen. Beim Kick Off am 08.10.2024 werden Kleidungsstücke neu kombiniert, gestylt, in Lagen aufeinander getragen, auf links gedreht, mit Klammern festgesteckt oder auch bereits in erste Kleidungsstücke hineingeschnitten.
Schnell entstehen durch das Experimentieren erste Ideen und spannende Momente, wenn Gegensätzliches oder vermeintlich nicht Zusammenpassendes in einer Stylingskizze erstmalig aufeinander trifft. Diese ersten Ideen für innovative Designs sind wichtige Anhaltspunkte in der Konzeptentwicklung der kommenden Wochen.
Kendra Mersch setzt sich als Ziel, gegensätzliche Kleidungsstücke wie ein klassisches Sakko, eine Lieferando Kurierjacke und Jeans in Designs zusammenzubringen. Dabei berücksichtigt sie auch den Alltag potenzieller Träger*innen, um einen Fokus auf die Work-Life-Balance zu legen. Sie sieht einen großen Mehrwert in der Collagetechnik, die sie gut mit ihrer Auffassung von Nachhaltigkeit vereinen kann, da der Ressourcen- und Zeitaufwand durch diese Technik reduziert wird: „Man muss nicht 5 Krägen aus neuem Stoff nähen sondern kann bereits Vorhandenes nehmen, das sonst entsorgt werden würde. Das Reinschneiden, Rausschneiden und Collagieren mit Textilien, die es bereits im Überfluss gibt; insbesondere billige, die niemand mehr trägt und die niemand mehr tragen möchte. Das, was wir haben, sollten wir auf jeden Fall nutzen, bevor es entsorgt wird“.
Auch Lorena Kapp kommt durch die Collagetechnik auf Ideen, wie Kleidung im Alltag funktionieren kann, wenn man sich mit einem Fahrrad in einer Stadt fortbewegt: die Kleidung muss sich an den Alltag der Träger*innen anpassen können und soll deshalb auch auf der Arbeit oder in der Freizeit tragbar sein können. Hierfür kombiniert sie in ihren Stylingexperimenten funktionale Skianzüge mit Hemden und Jeans, um einen Hybriden zu entwickeln – der im Allover-Denim-Look umgesetzt werden soll.
Eine Vorgabe im Hinblick auf die Stoffauswahl im Seminar ist die Limitierung auf den Werkstoff Denim. Im Prozess muss deshalb berücksichtigt werden, dass Bündchen oder Silhouetten, die sich durch das Styling mit Stretchmaterialien ergeben, in der Umsetzung ebenfalls in Denim zu übersetzten sind.
Hierfür müssen kreative Lösungen erarbeitet werden. „Man muss zum Beispiel das Bündchen eines T‑Shirts, Streifen eines klassischen Businesshemdes oder das Mesh einer Sportswearjacke übersetzen. Und da ist Denim sehr vielfältig und dankbar im Blick auf die Oberflächenmanipulation“, findet Lorena Kapp. In ihren Designs hat sie eine Lösung darin gefunden, die Streifen zu bleichen, Streifen mit dickerem Jeansgarn aufzusteppen, oder sie hat für Bündchen einzelne Fäden mit Pinzetten aus dem Denim gezogen – um die Optik eines Strickbündchens zu erhalten.






Die Modestudierenden sind sich einig: die Limitierung auf den Werkstoff Denim ist keineswegs einschränkend, wie vielleicht anfangs befürchtet, denn die Stoffe müssen nicht unverändert verarbeitet werden. Vielmehr erlaubt die robuste Beschaffenheit des Materials eine Vielzahl von Manipulationsmöglichkeiten, die die Studierenden in den kommenden Wochen für sich entwickeln. Dabei müssen sie in ihren Ideen flexibel bleiben, denn das Material ist begrenzt – man muss muss in einigen Entscheidungen Kompromisse eingehen.
Die Techniken sind vielfältig; neben den archetypischen Steppungen, dem Distressing oder auch Patchworktechniken kommt eine Vielzahl weiterer Vorgehensweisen zum Einsatz.
Eine der Techniken ist das Bleichen, das Jule Groditzki für sich entdeckt hat. Mit verschiedenen Techniken, Schwämmen und Sprühflaschen oder auch verschiedenfarbigen Denim experimentiert sie und kommt zu spannenden Ergebnissen. Denn der schwarze Denim wird im Bleichprozess orange. Für ihre finalen Outfits erarbeitet sie sich eine Technik, bei der sie mit Blättern und Chlorbleiche Abdrücke auf den Denim bringt. Bei der Stoffwahl eingeschränkt zu sein, war für sie von großem Mehrwert. „Man achtet viel mehr auf Details und realisiert, wie wichtig diese beim Denim sind. Es ist faszinierend, dass die Auswahl von Garnen genauso wichtig ist wie die Stoffwahl selbst, da beispielsweise verschiedenfarbige Steppungen eine große Rolle im finalen Design spielen“.
Für Michelle Wurm war die Limitierung ab Beginn zudem eine große Hilfe, denn die Einschränkung in der Materialwahl erlaubt es, sich zunächst vermehrt auf die Formfindung, Schnitt und Farbe zu konzentrieren. „Den Denim habe ich dann durch Waschungen, Raffungen und Aufrauhungen manipuliert, da meine Designs von Outerwear inspiriert sind und eine gewisse Robustheit brauchen“.
Waschungen, Aufrauhungen und Distressing sind sämtlich Techniken, die in der Industrie angewandt werden, um den begehrten „Used-Look“ künstlich zu erschaffen. Heutzutage findet man nur wenige Jeans, die durch jahrelanges, intensives Tragen einen echten Vintagelook haben. Insbesondere in Japan werden heutzutage vermehrt qualitativ sehr hochwertige Jeans noch auf originalen, restaurierten Selvedge Denim Webstühlen (Schützen-Webmaschinen) hergestellt, die von einer wachsenden Community nachgefragt werden. Die Jeans werden intensiv und so lang wie möglich getragen, Beschädigungen durch Reperaturtechniken ausgebessert und die Nutzspuren, die durch jahre- oder auch jahrzehntelanges Tragen entstehen, wertgeschätzt.
Dieses Qualitätsmerkmal wird aber insbesondere ausgerechnet im Fast Fashion Sektor mit sehr umweltbelastenden und umstrittenen Techniken nachgeahmt, die sozial und ökologisch unverträglich sind. Beispielsweise ist hier der „Stonewashed“-Effekt zu nennen, der äußerst energieaufwändig ist und durch den eine enorme Menge Stein- und Faserabrieb entsteht, der entsorgt werden muss. Beim „Sandblasting“ wiederum gelangt der Feinstaub in die Lungen der Arbeiter*innen, die an tödlichen Lungenkrankheiten erkranken – und das alles nur für einen Effekt, den wir durch Wertschätzung unserer Kleidung auf nachhaltige Art und Weise leicht erzeugen könnten, denn er stellt sich irgendwann von selbst ein.
Aber auch unverarbeiteter, ungewaschener Denim (Raw Denim) hat eine schlechte Umweltbilanz. Für den Anbau eines Kilos Baumwolle aus konventionellem Anbau werden rund 10.000 Liter Wasser benötigt. Kein Wunder, dass der Wasserverbrauch je gefertigter Jeans im Durchschnitt bis zu 10.000 Liter Frischwasser im Produktionsprozess benötigt. Bei den typischen Denimfärbungen werden zudem durch das Indigo chemische Abfälle und Schwermetalle freigesetzt, die zu enormen Wasserverschmutzungen in den Produktionsländern führen.
Insbesondere Tracy Sakyi setzt sich intensiv mit der Indigogewinnung auseinander. Durch ihre Recherche zur Indigopflanze wurde sie auf die Erntehelfer der Indigoernte aufmerksam, deren Arbeitsbekleidung sehr auf Improvisation und Funktionalität basieren: „Die Erntehelfer haben auf dem Feld keine Möglichkeit, sich umzuziehen. Stattdessen ziehen sie sich deshalb beispielsweise zwei Jacken übereinander, und wenn es zu warm wird, wird eine Jacke ausgezogen und umgebunden. Dieses improvisierte, funktionale und ‚unbeabsichtigte‘ Styling war Inspiration für mein Konzept“. Die Vogelperspektive auf die Indigofelder stellt zudem eine Inspiration für die Linienführung in ihren Designs dar.


Es ist eine Tatsache, dass es keinen wirklichen Bedarf an neuer Kleidung gibt. Die enormen Mengen an ausgemusterter Kleidung und Deadstock sind die Folgen von Trends und Qualitätsverlusten durch Fastfashion.
Was wir brauchen, sind Kleidungsstücke, die gut designt sind, lange getragen werden wollen und bei denen Nachhaltigkeit bereits im Designprozess selbst mitberücksichtigt wird.
Für Philipp Rupp steht fest, dass man jede Designsprache mehr oder weniger nachhaltig übersetzen könnte, wenn man Kompromisse eingeht. Die „Einschränkungen“, wie der Verzicht auf bestimmte Materialien, fordern dabei die Kreativität heraus. „Es gibt Ansätze, bei denen Trompe l’oeil vintage Denim Details digital auf weißen Köperstoff gedruckt werden, um den begehrten Used Look zu imitieren. Leider kommen diese innovativen neuen Methoden nur bei einem geringen Teil von Modefirmen zum Einsatz, der Großteil der gehandelten Jeans wird immer noch konventionell produziert.“
Für die Studierenden steht fest: Der robuste Denim hat großes Potenzial, um spannende, langlebige, zeitlose und funktionale Designs zu entwickeln, die sich gegen schnelllebige Mode positionieren – wenn man flexibel bleibt. Auch Kendra Mersch findet: „Ein gut gedachtes, ausgearbeitetes Design mit einer guten Farbwahl und einer guten Verarbeitung ist eine Art von Nachhaltigkeit, die wir im Moment nicht so stark haben. Denim als Werkstoff ist in dieser Hinsicht eine gute Wahl, denn er ist ja nicht umsonst so beliebt“.







Credits
Kursleitung: Prof. Philipp Rupp
Kursteilnehmende: Lorena Kapp, Kendra Mersch, Sarah Löwen, Oskar Schröer, Tracy Sakyi, Elia Giorgio Hornburg, Festina Bekteshi, Ece Yasar, Fiona Kahrau, Grigorios Tertsanlis, Jule Groditzki, Leonie Gerber, Margit Rudzewski, Michelle Wurm, Onelle-Marie Schaper, Xenia Bund, Isabel Niemann
Kooperationspartner: R.Brand Group GmbH
Fotos: Christian Kieselbach
Text: Isabel Niemann
Instagram: @isabel_niemann.design, @christian.kieselbach, @fashion_hsbi, @rbrand_group
Isabel Niemann & Christian Kieselbach
23. März 2025
Lesedauer 10 min

Das Material Denim und die daraus gefertigten Kleidungsstücke zählen zu der weltweit am meisten getragenen Bekleidung und lassen sich aus unseren diversen Garderoben nicht mehr wegdenken. Entsprechend ist der Wunsch nach neuen Jeans riesig – auch wenn uns Träger*innen zumeist nicht bewusst ist, dass der herkömmliche Herstellungsprozess von Jeans eine hohe Umweltbelastung darstellt.
Im Hinblick darauf setzten sich die Studierenden nicht nur mit Kleidungsstücken aus Denim, deren Materialeigenschaften und Geschichte auseinander, sondern entwickelten darüber hinaus Ansätze für einem nachhaltigeren Umgang mit Denim im Modedesign.
Um den Hype um die Jeans nachzuvollziehen ist es wichtig, ihre historische Entwicklung zu kennen, denn die Jeans selbst hat ihre Funktion in der Dauerhaftigkeit und wurde ursprünglich als strapazierfähige Arbeitsbekleidung für Goldgräber im Zeitalter des Goldrauschs entwickelt, bevor sie selbst zum Objekt der Mode und Mythos der modernen Kultur geworden ist.
Jugendliche rebellierten durch das Tragen von Jeans gegen den traditionellen Kleiderzwang ihrer Eltern, und Frauen verhalf sie zu einer neuen körperlichen Freiheit – die Jeans hat sich als faszinierender Modeklassiker etabliert, der auf viele Arten getragen werden kann, ohne dabei seine Funktion als robustes Kleidungsstück zu verlieren.
Schnell wurde den Studierenden in ihrer Recherche bewusst, dass das zeitlose Material Denim nicht nur enormes Potenzial für neue Entwürfe bietet, sondern vielmehr auch die Möglichkeit, langlebige und robuste Kleidungsstücke zu entwickeln, die sich gegen die schnelllebigen Trends der Fast Fashion positionieren. (Denim ist ein strapazierfähiger Stoff in Köperbindung mit typischen indigoblauen Kett- und weißen Schussfäden)
Dabei gibt es nur ein Problem:
die Herstellung von Denim ist sehr umweltbelastend; die anschließenden Waschungen und Stoffbearbeitungen von Jeanskleidungsstücken aus herkömmlicher, industrieller Herstellung sind im Hinblick auf soziale und ökologische Aspekte äußerst heikel.









Die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Modeindustrie sind gravierend, sie sollten also bereits im Designprozess mitbedacht werden. Daher ist es Prof. Philipp Rupp ein Anliegen, nachhaltige Themen in der Lehre immer wieder zur Sprache zu bringen. Um die Modestudierenden zu ermächtigen, im Studium und später im Beruf nachhaltige Entscheidungen treffen zu können – oder zumindest die richtigen Fragen zu stellen.
Insbesondere der ökologische Fußabdruck einer Jeans ist enorm; bereits in der Produktion von Denim wird viel Wasser für den konventionellen Baumwollanbau benötigt, und bei den Färbungen mit Indigo oder synthetischem Indigo kommen viele umweltbelastende Chemikalien zum Einsatz.
Die Antwort ist simpel: mit dem, was bereits produziert worden ist und nun als Deadstock oder ausgemusterte Kleidungsstücke im Altkleidercontainer landet. Insbesondere Kleidungsstücke aus dem Segment der Fast- oder Ultra Fast Fashion sind schon längst nicht mehr darauf ausgelegt, langfristig tragbar zu sein und werden oftmals nach nur wenigen Tragen entsorgt. Wir kennen die Fotografien von Bergen aus Altkleidern, die in Wüsten gelagert oder vernichtet werden und sehen überfüllte Altkleidercontainer in den Städten. Den Konsument*innen ist dabei nicht bewusst, dass das Problem bereits viel früher beginnt, denn dieser „Abfall“ (auch Pre-Consumer-Waste genannt) ist für sie nicht sicht- oder greifbar.
[1} Im Seminar Let’s Denim entdeckten die Kursteilnehmenden das Potenzial von Deadstock der Firma R.Brand Group für modische Neuinterpretationen und setzten zwei Outfits um.
Aufgrund der immer schneller werdenden Mode- und Produktionszyklen werden mit viel Vorlaufzeit Textilien produziert, die aufgrund von Design- und Managemententscheidungen verworfen und infolgedessen auf unbestimmte Zeit eingelagert werden. Sie sind irgendwann nicht mehr nutzbar und die Einlagerung benötigt zudem viel Platz, Energie und Arbeitskraft. Aber nicht nur Stoffrollen werden eingelagert – auch große Mengen unverkäuflicher Kleidungsstücke aus Überproduktion, Prototypen, Stoffreste und Muster stellen eine Herausforderung dar. Gleichzeitig bilden sie jedoch ein wertvolles Potenzial an ungenutzten Ressourcen für Modedesigner*innen.
Als Prof. Philipp Rupp im Mai 2024 zu Besuch bei der R.Brand Group GmbH war, wurde ihm die Konkursmasse der AHLERS AG gezeigt: Rollen mit Deadstockstoffen- und Kleidungsstücken, ungenutzte Zutaten und weitere Materialien aus dem Denimsegment. Schnell entstand die Idee, mit dem ortsansässigen Unternehmen zu kooperieren und mit dem Deadstock ein Gestaltungsprojekt zu konzipieren, um die ungenutzten Ressourcen wieder in den textilen Kreislauf zu bringen.
Ungenutzte Meterware kann dabei zumeist unproblematisch ver- und bearbeitet werden. Bereits gefertigte Kleidungsstücke bringen jedoch ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich: die Stoffflächen sind begrenzt und bereits in Details verarbeitet.
Ihr Design und Details sowie ausgemusterte, zerschlissene oder beschädigte Kleidung können auch Inspiration im Designprozess neuer Outfits sein. Viele bekannte Modedesigner*innen arbeiten mit genau diesem Prinzip; sie collagieren dreidimensional am Körper und entwickeln auf Basis dieser Skizzen Ideen für neue, innovative Designs. Für Philipp Rupp war schnell klar, dass sich das Upcycling des Denimdeadstocks gut mit der Collagetechnik verbinden lässt, zumal die Menge es ermöglicht, viele Ideen skizzenhaft auszuprobieren, ohne dass zuvor Schnitte entwickelt und Probeteile nachgenäht werden müssen.







Zu Beginn des Semesters ähnelt der Seminarraum einem Vintagestore, in dem neben einer Vielzahl aussortierter Kleidungsstücke auch eine große Menge Jeans Deadstock und Second Hand Kleidungsstücke aus dem Materialpool des Textilhafens der Berliner Stadtmission hängen. Beim Kick Off am 08.10.2024 werden Kleidungsstücke neu kombiniert, gestylt, in Lagen aufeinander getragen, auf links gedreht, mit Klammern festgesteckt oder auch bereits in erste Kleidungsstücke hineingeschnitten.
Schnell entstehen durch das Experimentieren erste Ideen und spannende Momente, wenn Gegensätzliches oder vermeintlich nicht Zusammenpassendes in einer Stylingskizze erstmalig aufeinander trifft. Diese ersten Ideen für innovative Designs sind wichtige Anhaltspunkte in der Konzeptentwicklung der kommenden Wochen.
Kendra Mersch setzt sich als Ziel, gegensätzliche Kleidungsstücke wie ein klassisches Sakko, eine Lieferando Kurierjacke und Jeans in Designs zusammenzubringen. Dabei berücksichtigt sie auch den Alltag potenzieller Träger*innen, um einen Fokus auf die Work-Life-Balance zu legen. Sie sieht einen großen Mehrwert in der Collagetechnik, die sie gut mit ihrer Auffassung von Nachhaltigkeit vereinen kann, da der Ressourcen- und Zeitaufwand durch diese Technik reduziert wird: „Man muss nicht 5 Krägen aus neuem Stoff nähen sondern kann bereits Vorhandenes nehmen, das sonst entsorgt werden würde. Das Reinschneiden, Rausschneiden und Collagieren mit Textilien, die es bereits im Überfluss gibt; insbesondere billige, die niemand mehr trägt und die niemand mehr tragen möchte. Das, was wir haben, sollten wir auf jeden Fall nutzen, bevor es entsorgt wird“.
Auch Lorena Kapp kommt durch die Collagetechnik auf Ideen, wie Kleidung im Alltag funktionieren kann, wenn man sich mit einem Fahrrad in einer Stadt fortbewegt: die Kleidung muss sich an den Alltag der Träger*innen anpassen können und soll deshalb auch auf der Arbeit oder in der Freizeit tragbar sein können. Hierfür kombiniert sie in ihren Stylingexperimenten funktionale Skianzüge mit Hemden und Jeans, um einen Hybriden zu entwickeln – der im Allover-Denim-Look umgesetzt werden soll.
Eine Vorgabe im Hinblick auf die Stoffauswahl im Seminar ist die Limitierung auf den Werkstoff Denim. Im Prozess muss deshalb berücksichtigt werden, dass Bündchen oder Silhouetten, die sich durch das Styling mit Stretchmaterialien ergeben, in der Umsetzung ebenfalls in Denim zu übersetzten sind.
Hierfür müssen kreative Lösungen erarbeitet werden. „Man muss zum Beispiel das Bündchen eines T‑Shirts, Streifen eines klassischen Businesshemdes oder das Mesh einer Sportswearjacke übersetzen. Und da ist Denim sehr vielfältig und dankbar im Blick auf die Oberflächenmanipulation“, findet Lorena Kapp. In ihren Designs hat sie eine Lösung darin gefunden, die Streifen zu bleichen, Streifen mit dickerem Jeansgarn aufzusteppen, oder sie hat für Bündchen einzelne Fäden mit Pinzetten aus dem Denim gezogen – um die Optik eines Strickbündchens zu erhalten.




Die Modestudierenden sind sich einig: die Limitierung auf den Werkstoff Denim ist keineswegs einschränkend, wie vielleicht anfangs befürchtet, denn die Stoffe müssen nicht unverändert verarbeitet werden. Vielmehr erlaubt die robuste Beschaffenheit des Materials eine Vielzahl von Manipulationsmöglichkeiten, die die Studierenden in den kommenden Wochen für sich entwickeln. Dabei müssen sie in ihren Ideen flexibel bleiben, denn das Material ist begrenzt – man muss muss in einigen Entscheidungen Kompromisse eingehen.
Die Techniken sind vielfältig; neben den archetypischen Steppungen, dem Distressing oder auch Patchworktechniken kommt eine Vielzahl weiterer Vorgehensweisen zum Einsatz.
Eine der Techniken ist das Bleichen, das Jule Groditzki für sich entdeckt hat. Mit verschiedenen Techniken, Schwämmen und Sprühflaschen oder auch verschiedenfarbigen Denim experimentiert sie und kommt zu spannenden Ergebnissen. Denn der schwarze Denim wird im Bleichprozess orange. Für ihre finalen Outfits erarbeitet sie sich eine Technik, bei der sie mit Blättern und Chlorbleiche Abdrücke auf den Denim bringt. Bei der Stoffwahl eingeschränkt zu sein, war für sie von großem Mehrwert. „Man achtet viel mehr auf Details und realisiert, wie wichtig diese beim Denim sind. Es ist faszinierend, dass die Auswahl von Garnen genauso wichtig ist wie die Stoffwahl selbst, da beispielsweise verschiedenfarbige Steppungen eine große Rolle im finalen Design spielen“.
Für Michelle Wurm war die Limitierung ab Beginn zudem eine große Hilfe, denn die Einschränkung in der Materialwahl erlaubt es, sich zunächst vermehrt auf die Formfindung, Schnitt und Farbe zu konzentrieren. „Den Denim habe ich dann durch Waschungen, Raffungen und Aufrauhungen manipuliert, da meine Designs von Outerwear inspiriert sind und eine gewisse Robustheit brauchen“.


Waschungen, Aufrauhungen und Distressing sind sämtlich Techniken, die in der Industrie angewandt werden, um den begehrten „Used-Look“ künstlich zu erschaffen. Heutzutage findet man nur wenige Jeans, die durch jahrelanges, intensives Tragen einen echten Vintagelook haben. Insbesondere in Japan werden heutzutage vermehrt qualitativ sehr hochwertige Jeans noch auf originalen, restaurierten Selvedge Denim Webstühlen (Schützen-Webmaschinen) hergestellt, die von einer wachsenden Community nachgefragt werden. Die Jeans werden intensiv und so lang wie möglich getragen, Beschädigungen durch Reperaturtechniken ausgebessert und die Nutzspuren, die durch jahre- oder auch jahrzehntelanges Tragen entstehen, wertgeschätzt.
Dieses Qualitätsmerkmal wird aber insbesondere ausgerechnet im Fast Fashion Sektor mit sehr umweltbelastenden und umstrittenen Techniken nachgeahmt, die sozial und ökologisch unverträglich sind. Beispielsweise ist hier der „Stonewashed“-Effekt zu nennen, der äußerst energieaufwändig ist und durch den eine enorme Menge Stein- und Faserabrieb entsteht, der entsorgt werden muss. Beim „Sandblasting“ wiederum gelangt der Feinstaub in die Lungen der Arbeiter*innen, die an tödlichen Lungenkrankheiten erkranken – und das alles nur für einen Effekt, den wir durch Wertschätzung unserer Kleidung auf nachhaltige Art und Weise leicht erzeugen könnten, denn er stellt sich irgendwann von selbst ein.
Aber auch unverarbeiteter, ungewaschener Denim (Raw Denim) hat eine schlechte Umweltbilanz. Für den Anbau eines Kilos Baumwolle aus konventionellem Anbau werden rund 10.000 Liter Wasser benötigt. Kein Wunder, dass der Wasserverbrauch je gefertigter Jeans im Durchschnitt bis zu 10.000 Liter Frischwasser im Produktionsprozess benötigt. Bei den typischen Denimfärbungen werden zudem durch das Indigo chemische Abfälle und Schwermetalle freigesetzt, die zu enormen Wasserverschmutzungen in den Produktionsländern führen.
Insbesondere Tracy Sakyi setzt sich intensiv mit der Indigogewinnung auseinander. Durch ihre Recherche zur Indigopflanze wurde sie auf die Erntehelfer der Indigoernte aufmerksam, deren Arbeitsbekleidung sehr auf Improvisation und Funktionalität basieren: „Die Erntehelfer haben auf dem Feld keine Möglichkeit, sich umzuziehen. Stattdessen ziehen sie sich deshalb beispielsweise zwei Jacken übereinander, und wenn es zu warm wird, wird eine Jacke ausgezogen und umgebunden. Dieses improvisierte, funktionale und ‚unbeabsichtigte‘ Styling war Inspiration für mein Konzept“. Die Vogelperspektive auf die Indigofelder stellt zudem eine Inspiration für die Linienführung in ihren Designs dar.


Es ist eine Tatsache, dass es keinen wirklichen Bedarf an neuer Kleidung gibt. Die enormen Mengen an ausgemusterter Kleidung und Deadstock sind die Folgen von Trends und Qualitätsverlusten durch Fastfashion.
Was wir brauchen, sind Kleidungsstücke, die gut designt sind, lange getragen werden wollen und bei denen Nachhaltigkeit bereits im Designprozess selbst mitberücksichtigt wird.
Für Philipp Rupp steht fest, dass man jede Designsprache mehr oder weniger nachhaltig übersetzen könnte, wenn man Kompromisse eingeht. Die „Einschränkungen“, wie der Verzicht auf bestimmte Materialien, fordern dabei die Kreativität heraus. „Es gibt Ansätze, bei denen Trompe l’oeil vintage Denim Details digital auf weißen Köperstoff gedruckt werden, um den begehrten Used Look zu imitieren. Leider kommen diese innovativen neuen Methoden nur bei einem geringen Teil von Modefirmen zum Einsatz, der Großteil der gehandelten Jeans wird immer noch konventionell produziert.“
Für die Studierenden steht fest: Der robuste Denim hat großes Potenzial, um spannende, langlebige, zeitlose und funktionale Designs zu entwickeln, die sich gegen schnelllebige Mode positionieren – wenn man flexibel bleibt. Auch Kendra Mersch findet: „Ein gut gedachtes, ausgearbeitetes Design mit einer guten Farbwahl und einer guten Verarbeitung ist eine Art von Nachhaltigkeit, die wir im Moment nicht so stark haben. Denim als Werkstoff ist in dieser Hinsicht eine gute Wahl, denn er ist ja nicht umsonst so beliebt“.







Credits
Kursleitung: Prof. Philipp Rupp
Kursteilnehmende: Lorena Kapp, Kendra Mersch, Sarah Löwen, Oskar Schröer, Tracy Sakyi, Elia Giorgio Hornburg, Festina Bekteshi, Ece Yasar, Fiona Kahrau, Grigorios Tertsanlis, Jule Groditzki, Leonie Gerber, Margit Rudzewski, Michelle Wurm, Onelle-Marie Schaper, Xenia Bund, Isabel Niemann
Kooperationspartner: R.Brand Group GmbH
Fotos: Christian Kieselbach
Text: Isabel Niemann
Instagram: @isabel_niemann.design, @christian.kieselbach, @fashion_hsbi, @rbrand_group